Alte Lederfabrik – Die Vergangenheit bekommt Zukunft

von Robert Wagner

Fa. Stark & Biedermann · Rösrath

„Nie habe ich’s lebhafter empfunden, daß ich Anhänger des raschen, entschiedenen Fortschritts bin, als die Nacht, wo mich der Postwagen von Wiedenbrück nach Elberfeld schleppte. Diese Postwagen, welche noch vor 10 Jahren jedermann als ein Muster von Bequemlichkeit und Schnelligkeit erschienen, sind jetzt niemandem mehr bequem und schnell genug.“

So schreibt Otto Lüning, Redakteur des oppositionellen nationalliberalen, fortschrittsorientierten Blattes „Westphälisches Dampfboot“ 1845 von einer Fahrt durchs Bergische Land. Und zwar genau in der Zeit, in der das Gebäude, das heute für die Ausstellung „25 Jahre Rösrather Künstler“ zur Verfügung gestellt wird, errichtet wird.

Die Eisenbahn, von der Otto Lüning schwärmt, hat zu dieser Zeit Rösrath zwar noch nicht erreicht, aber die Vorboten der Industriellen Revolution sind im Sülztal bereits angekommen: am Lüderich arbeitet die belgische Bergwerksgesellschaft „Vieille Montagne“, den Hoffnungsthaler Hammer hat die aus dem Oberbergischen kommende Familie Reusch zu einer metallverarbeitenden Fabrik umgebaut, und an der Stelle der späteren Lederfabrik „Stark und Biedermann“ baut Bürgermeister Robert Rohr, dessen Amtssitz sich im benachbarten Haus Eulenbroich befindet, eine bereits bestehende Ziegelei zu einer Fabrik um, die zunächst Dachziegel, später als „Rösrather Thonwerke Benfey & Cie.“ an dieser Stelle auch Tonröhren produzieren soll.

Lassen wir uns von der Zeitmaschine einen Augenblick festhalten in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der besonders im Bergischen Land bittere Armut herrscht: Die im Bergbau und in den Fabrikanlagen entstehenden Arbeitsplätze erfüllen unsere Vorfahren im Sülztal offensichtlich mit so viel Hoffnung, dass sie beginnen, den damals fast tausendjährigen Ortsnamen „Volberg“ durch „Hoffnungsthal“ zu ersetzen

Gut 50 Jahre später verlässt die Firma „Stark und Biedermann“ ihren Standort im fernen Thüringen, um ausgerechnet hier in Rösrath eine Lederproduktion von größerem Ausmaße in den vorhandenen Gebäuden aufzubauen.

Gestatten Sie mir, bereits an dieser Stelle einen Vergleich vorwegzunehmen: Selbstverständlich hatte der Firmengründer Emil Biedermann dabei die Expansion des eigenen Geschäftes im Kopf, ja, sagen wir es offen: er verfolgte seine eigenen kommerziellen Interessen. Gleichzeitig aber schuf er bei der Betriebseröffnung im Jahre 1908 Arbeitsplätze zunächst für 40 Rösrather, später sollen bis zu 80 Mitarbeiter hier ihren Lebensunterhalt verdienen, durchaus ein Verdienst der Unternehmer der Gründerzeit.

Dass die Nachkommen von Emil Biedermann heute, fast 100 Jahre später, kostenlos und uneigennützig dieses Gebäude 65 Rösrather Künstlerinnen und Künstler für diese Ausstellung zur Verfügung stellen und damit diese historischen Gemäuer für die Einwohner der gesamten Stadt Rösrath und darüber hinaus öffnen, kann nicht deutlich genug gesagt und anerkannt werden, herzlichen Dank!

Ich möchte Sie nicht mit allen Daten der Firmengeschichte langweilen, so spannend diese auch sein mag. Wer sich jedoch mit Geschichte näher befasst, spürt bald, wie alt unsere hochmodernen Problemstellungen in Wirklichkeit sind, sprich: Mag sein, dass wir heute gerade die „guten alten Zeiten“ von übermorgen erleben. Dazu drei Beispiele:

„Standort Deutschland“, oder besser: „Standort Rösrath“

Wer in jüngster Zeit in Rösrath die Diskussion um „Stadt-Marketing“, „Gewerbegebiet“ und „Autobahnanschluss“ verfolgt hat, weiß, wie sehr Kommunen heute um Standortfragen ringen. Nicht anders die Verfasser des Konzessionsgesuchs vom 27. Februar 1907:

„Die Grundstücke, auf denen die Lederfabrikation ausgeführt werden soll […] bilden ein Ganzes, liegen vollkommen frei und außerhalb des Ortes Rösrath. Die nähere Umgebung ist nicht bebaut, sondern teils Wald und teils Wiesenland. Im Norden bildet der von der Sülz abgeleitete Obergraben, der die Turbinenanlage der Fabrik speist, die Grenze, … im Westen die Chaussee von Volberg nach Rösrath.“

Vor allem findet auch der unmittelbar nördlich gelegene Bahnhof Erwähnung, der – wie in den Nachkriegsjahren noch erkennbar – mit einem Schmalspurgleisanschluss mit der Fabrik verbunden wird, eine grundsätzliche Voraussetzung für den Transport von Rohstoffen aus Übersee über die Hafenstädte Rotterdam und Amsterdam ins Sülztal.

Umweltschutz

Wer glaubt, Umweltschutz sei ein in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts geborenes Problembewusstsein, irrt ebenfalls:

Die Anwohner fürchten „die üblen Gerüche der Geberei und … die Abwässer der Fabrik“ ebenso wie die Gefahr, „die in die Sülz geführten Abwässer der Gerberei würden in die Agger und die Sieg gelangen, die Fischerei in diesen Wasserläufen verderben und insbesondere die Lachszucht, sogar bis zum Rhein hin, gefährden.“

Das Genehmigungsverfahren, geprägt von Interessenkollisionen und Gerangel um Zuständigkeiten der Behörden, zieht sich bis zum 1. August 1908 hin, als der Betrieb mit vielen Auflagen endlich beginnen kann.

Krisenereignisse und Arbeitslosigkeit

Wie abhängig die Produktion und damit natürlich auch die persönlichen Lebensverhältnisse der Belegschaft von weltpolitischen Ereignissen ist, wird im Lauf des 20. Jahrhunderts überdeutlich:

  • Dem Aufschwung im Ersten Weltkrieg durch die Kriegsproduktion folgt ein großer Kapitalmangel in den 20-er Jahren, da sämtliche Vorräte im Wert von 2,75 Millionen Reichsmark an das Reich abgeliefert werden mussten.
  • Im Laufe des Zweiten Weltkriegs muss der Betrieb u.a. wegen Materialmangels eingestellt werden.
  • Und in den 50-er Jahren wird die Lederproduktion schließlich durch den Siegesmarsch von Kunststoffen so weit zurückgedrängt, dass der Betrieb 1962 aufgegeben werden muss.

Dass wir heute nach Monaten von „Unzugänglichkeiten“ dieses Gelände und dieses Gebäude wieder zu einem solchen Ereignis betreten können, macht Hoffnung. Insbesondere zeigt die Eröffnung einer Kunstausstellung in diesem historischen Gemäuer, dass allseits Phantasie freigesetzt wird, auch über alternative Nutzungsmöglichkeiten nachzudenken, Nutzungsmöglichkeiten, die sogar mehr Bürgern dieser Stadt den Zutritt ermöglichen als das bei der Betriebseröffnung vor knapp 100 Jahren der Fall war.

Nehmen Sie heute Abend für den Rundgang ein Zitat von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio, dem vom Bergischen Land besonders vereinnahmten Reiseschriftsteller aus dem 19. Jahrhundert, mit auf den Weg:

„Wir quälten uns nicht so sehr mit der Arbeit, streiften dafür in der Gegend umher.“

1 Auszug einer Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „25 Jahre Rösrather Künstler“ im Fabrikgebäude Biedermann am 25. Juni 2004

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